Trotz der Renaissance des Wissens über die Atmung, das
        leicht zugänglich ist, ist die Atmung das Thema, das von
        Blechbläsern am meisten missverstanden wird. Über die Jahre
        habe ich Spieler gesehen, die geschoben und gezogen haben,
        deren Gesichter blutrot wurden, die ihren Körper
        epileptisch verdrehten, den Hals zumachten, den Brustkorb
        wie ein Ballon ausdehnten, und sogar defäkierten, und alle
        waren komplett überzeugt, dass sie das taten was richtig
        ist, um durchs Instrument zu blasen. In seltenen Fällen
        haben einzelne dieser Spieler erstaunlich gute Resultate
        erzielt, allerdings mit Sicherheit nicht wegen ihrer
        fehlerhaften Atmung. Sie waren solch ausgezeichnete
        Musiker, dass die Fehler durch ihre grossartigen
        Musikalität kompensieren konnten. Wenn sie folglich gelernt
        hätten richtig zu atmen, würde ihr Arbeitsaufwand um
        einiges verringert werden, und somit viel Energie frei zu
        geben, die in Musik selber investiert werden könnte. Die
        folgenden Absätze wurden mit der Absicht geschrieben, die
        fundamentalen Funktionen der Atmung zu klären.
        
        
        In meiner Studienzeit fragte ich einen meiner Lehrer, wie
        man korrekt atmet. Seine Antwort: "Ein und aus". Diese
        Antwort, die ich am Anfang als scherzhaft einstufte, hat
        sich inzwischen als sehr weise entpuppt. Im Grunde genommen
        ist eine richtige Atmung nicht mehr als das Ein- und
        Ausfliessen-lassen der Luft. Werfen wir einen Blick auf das
        was passiert, wenn in- und exhaliert wird.
        
        
        Wie in allen Körperfunktionen fängt die Atmung im Gehirn
        an, entweder auf der bewussten oder der unbewussten Ebene.
        Das Gehirn schickt einen Befehl einzuatmen zum Zwerchfell,
        das sich in der Folge senkt und die darunter liegenden
        Organe des Abdomens sanft nach Unten druckt. Durch diesen
        Vorgang entsteht ein negativer Druck (Teil-Vakuum) im
        Thorax, der das Ansaugen der Luft in die Lungen bewirkt.
        Eins der wichtigsten Prinzipien der Inhalation - und das,
        was am meisten missachtet wird - ist dass die Muskeln des
        Abdomens sich entspannen müssen, damit das Zwerchfell sich
        so weit wie möglich senken kann. Wenn die
        Bauchmuskeln während der Einatmung nicht entspannt sind,
        dann kann das Zwerchfell die Organe unter sich nicht
        verdrängen. Folglich wird die abwärts gerichtete Bewegung
        begrenzt und die Luftmenge, die eingeatmet werden kann,
        wird stark verringert.
        
        
Eine Zwerchfellatmung füllt die Lungen zu
        ungefähr 70%, genug um die meisten musikalischen Phrasen zu
        spielen. Wenn wir eine Person beobachten, die richtig mit
        dem Zwerchfell atmet, sehen wir ziemlich viel Bewegung im
        Abdomen, das sich bei der Inhalation entspannt und nach
        Aussen bewegt wird, und sich bei der Ausatmung nach Innen
        zusammenzieht. Der Thorax bewegt sich wenig bis nicht. Weil
        einige Phrasen mehr Luft brauchen als mit einer blossen
        Zwerchfellatmung möglich ist, müssen wir lernen, die Menge
        der eingeatmeten Luft zu vergrössern, um den Gebrauch
        unserer Vitalkapazität zu optimieren. Das ist besonders bei
        der Tuba und im tiefen Register der Flöte der Fall.
        Erreicht wird das durch den Gebrauch der
        Zwischenrippenmuskulatur im Thorax, vorzugsweise die im
        Rücken. Es ist äusserst wichtig, dass diese Brustkorbatmung
        erst nach der Zwerchfellatmung geschieht.
        Eine Zwerchfellatmung nach einer Brustkorbatmung ist
        physiologisch unmöglich. Wenn eine Brustkorbatmung
        eingesetzt wird, ist es zwar möglich, die vorderen Muskeln
        des Brustkorbs zu gebrauchen, allerdings tendieren sie
        dazu, unseren Hals zu schliessen, ein Vorgang der zu einem
        dünnen Klang und fehlerhaften Intonation führt.
        
        
        Nachdem die Lungen mit Luft gefüllt sind, muss der Körper
        nicht die eingeatmete Luft durch das Instrument
        blasen, weil die Luftmenge in den Lungen
        mehr als ausreichend ist, um den Ton anzuspielen - egal in
        welcher Dynamik. Sogar ein Fortissimo im tiefen Register
        der Tuba braucht nicht mehr als 4 Liter Luft in der ersten
        Sekunde, eine Menge die der Durchschnittsmensch nach einer
        vollen Inhalation in den Lungen hätte. Wenn die Lungen voll
        sind, lassen wir die Luft
        fliessen, wir blasen nicht. In der Tat,
        wenn die Lungen voll sind und wir spielen eine leise
        Passage, gebrauchen wir die Inhalationsmuskeln um das
        Wegfliessen der Luft zu bremsen. Das ist warum ein
        Pianissimo für unser "Atmungsapparat" sehr viel
        anstrengender ist als ein Fortissimo. Wenn wir ein
        Fortissimo spielen, können die Inhalationsmuskeln sich mehr
        entspannen, um den Luftfluss ins Instrument zu erhöhen.
        
        
        Am Ende der Inhalation ist der Luftdruck in den Lungen
        höher als der atmosphärischer Druck im Raum. Dieser Druck
        wird automatisch reduziert, wenn die Ausatmung anfängt. In
        einem bestimmten Moment während der Exhalation wird der
        Druck in den Lungen mit dem der Umgebung ausgeglichen. Nur
        in der zweiten Hälfte der Ausatmung, wenn der Druck in den
        Lungen weniger ist als er atmosphärischer Druck, müssen wir
        die Ausatmungsmuskeln gebrauchen, um die Phrase in der
        gleichen Dynamik und Intensität weiter zu spielen. Das ist
        der Fall, wenn die Lungen sich leeren und mehr Luft
        benötigt wird, als der natürliche Fluss zulässt, um die
        beabsichtigte musikalische Phrase zu stützen.
        
        
        Deswegen ist es wichtig zu verstehen, dass die Ein- und
        Ausatmung dynamische Prozesse sind. Obwohl wir uns auf das
        "Halten" einer Note in einer bestimmten Dynamik über einer
        bestimmten Länge konzentrieren, ändert sich der Druck in
        den Lungen kontinuierlich, vom ersten Moment an bis die
        Atmung fertig ist. Ein Ton wird durch ein
        Loslassen der eingeatmeten Luft angespielt
        und nur nachdem der Druck in den Lungen sich reduziert hat
        - und zwar bis zum Moment wann der Fluss die beabsichtigte
        Dynamik nicht mehr stützt - müssen wir anfangen, die Luft
        durch das Instrument zu blasen.